Interview:
Tanya Falenczyk
Foto:
Violence Prevention Network/ A. Klages
Erschienen in:
taz, Juli 2017
Interview:
Tanya Falenczyk
Foto:
Violence Prevention Network/ A. Klages
Erschienen in:
taz, Juli 2017
»Der Islam ist nur ein Steinbruch«
Wie bringen Salafisten junge Mädchen wie Linda W. dazu, in den Krieg zu ziehen? Thomas Mücke kämpft gegen Radikalisierung und kennt die Methoden.
taz: Herr Mücke, Sie kämpfen mit Ihrer Organisation gegen die Radikalisierung von Jugendlichen, auch von Mädchen wie Linda W. Wie bringt der Islam junge Frauen dazu, in den Krieg zu ziehen?
Thomas Mücke: Die Betroffenen hatten vorher oft gar keinen Bezug zur Religion. Sehr viele unserer Fälle waren vorher katholisch oder gar nicht gläubig und haben sich erst plötzlich für den Islam interessiert. Der Islam ist hier nur ein Steinbruch, um extremistische Ideologien zusammenzubasteln. Es geht erst mal nur um das Wir-Gefühl, diese Geborgenheit. Dann wird die Ideologie obendrauf gesetzt.
Wie kann die IS-Ideologie denn dazu benutzt werden, Mädchen Geborgenheit zu vermitteln?
Viele der Mädchen wollen zuerst nur aus ihrer Realität flüchten, weil sie unglücklich sind oder etwas Schlimmes erlebt haben. Es geht nicht darum, wohin, sie flüchten einfach. Dann bekommen sie ein Angebot, das ihnen ein besseres Leben verspricht. Die Hassprediger wissen genau, wie man jungen Leuten ein Gefühl von Anerkennung gibt, das ihnen vorher gefehlt hat. Gerade im Alter von 13 bis 15 Jahren sind viele dafür extrem anfällig.
Welche Vorgeschichten haben die Mädchen denn, um anfällig für Radikalisierung zu werden?
Wir haben einen Fall, bei dem der Vater sehr islamfeindlich war und sich die Tochter aus Protest dem Islam zugewandt hat, eine Art jugendlicher Rebellion. In ihrer Moschee ist sie dann an die falschen Leute geraten. Andere Mädchen haben Missbrauch erlebt und suchen nach einer Welt, in der Körperlichkeit scheinbar keine Rolle mehr spielt. Das wird ihnen mit der Burka versprochen. Ein Mädchen hat seinen Vater verloren. Dann spricht sie jemand in der Schule an, ob sie nicht mal in den Gesprächskreis mitkommen möchte, um über das Jenseits zu reden. Sie war auf der Suche nach Trauerbewältigung und war plötzlich in der salafistischen Szene, innerhalb von drei Monaten wäre sie fast nach Syrien gereist.
Zwischen einem Gesprächskreis und der Ausreise nach Syrien liegt noch viel. Wie schaffen es diese Gruppen, die Mädchen zu diesem extremen Schritt zu bringen?
Sie versuchen, die Jugendlichen von ihrem Umfeld und ihrer Heimat zu entfremden. Der erste Schritt ist meistens, ihnen zu zeigen, dass sie mit ihrem Glauben nicht mehr nach Deutschland passen. Ihnen wird gesagt, es gebe keine Zukunft hier, sie bekämen als junge Musliminnen keinen Job und keine Wohnung. Das lässt sich ja durchaus mit Zahlen belegen. Außerdem sollen die Mädchen alle Menschen um sie herum für den Islam rekrutieren. Wenn Angehörige das ablehnen, gehören sie zu den Ungläubigen und die Jugendlichen müssen den Kontakt abbrechen. Jetzt ist der Kokon geschlossen: Sie haben nur noch Kontakte in der salafistischen Szene.