Text:
Tanya Falenczyk
Grafik:
Kim Asendorf
Erschienen in:
ZEIT Campus Nr. 2/2019
Text:
Tanya Falenczyk
Grafik:
Kim Asendorf
Erschienen in:
ZEIT Campus Nr. 2/2019
Die Ungeliebten
In Foren hetzen Männer gegen Frauen, von denen sie sich abgelehnt fühlen. Sie nennen sich Incels, hassen sich selbst und die Gesellschaft und stacheln einander zur Rache an. Max war einer von ihnen. Warum?
Im Sommer vor acht Jahren begann das Leben für Max kompliziert zu werden. Er war damals 15 Jahre alt und zum ersten Mal verknallt. Sie hieß Hanna und war ihm schon den ganzen Sommer lang aufgefallen. Denn Hanna war anders als die anderen Mädchen. Keine Tussi. Max mochte, dass sie mit den Jungs Fußball spielte, beim Sport nie ihren Turnbeutel vergaß und manchmal »scheiße« sagte.
An einem Nachmittag hatten Max und Hanna sich mit Freunden zum Schwimmen verabredet. Die beiden waren die Ersten am Treffpunkt. Da nahm Max all seinen Mut zusammen und fragte: »Wollen wir mal nur zu zweit etwas machen?« Hanna antwortete schnell, fast ohne Pause, so erzählt er es heute: »Max, tut mir leid, irgendwie bist du mir zu klein.«
Es war das erste Mal, dass Max eine Abfuhr kassierte. Während die meisten Menschen den Liebeskummer der Teenagerzeit bald überwinden, blieb er an Max kleben.
Heute ist Max 23 Jahre alt und studiert BWL in Düsseldorf. Mit seinem hellblauen Polohemd und den gegelten braunen Haaren sieht er auch so aus. Er lächelt viel, oft aus Verlegenheit. Max ist ein unauffälliger Typ, der ein unauffälliges Leben führt. Wäre da nicht diese eine Besonderheit: Max hat noch nie mit einem Mädchen gekuschelt, geknutscht oder geschlafen. Er findet sich mit seinen 1,67 Meter immer noch zu klein, um ein Mädchen anzusprechen. Deshalb versucht er es erst gar nicht.
Es geschah eher schleichend, dass aus seiner Scham und Einsamkeit Hass wurde, erzählt Max. Hass gegen sich selbst. Dann entdeckte er ein Online-Forum von Männern, denen es genauso zu gehen schien wie ihm. Diese Männer nannten sich »Incels«, das steht für involuntary celibates und bedeutet, dass sie unfreiwillig wie im Zölibat lebten, weil Frauen nicht mit ihnen schlafen wollten. Die Incels erklärten einander, warum das mit ihnen und den Frauen nie etwas werden würde. Sie stachelten sich in ihren Rachefantasien gegenseitig immer weiter an. Dann griffen einige von ihnen zur Waffe.
Der Erste war Elliot Rodger, 22, Studienabbrecher. Im Mai 2014 tötete er in der Nähe des Campus der University of California in Santa Barbara sechs Studierende, verletzte vierzehn weitere Menschen und nahm sich selbst das Leben. Im April 2018 fuhr der Informatikstudent Alek Minassian, damals 25, in Toronto mit einem Auto zehn Menschen tot und verletzte mehrere weitere. Einige Monate später schoss Scott Beierle, 40, ein ehemaliger Lehrer und Kriegsveteran, in einem Yoga-Studio in Florida
um sich. Er tötete zwei Menschen und sich selbst. Diese Männer hinterließen Schriften oder Videos, in denen sie ihre Taten begründeten. Elliot Rodger veröffentlichte gleich ein 141-seitiges Manifest. »Ihr habt mich mein ganzes Leben lang gezwungen zu leiden, jetzt werde ich euch leiden lassen«, schrieb er darin. »Darauf habe ich lange gewartet.« Einige im Incel-Forum feierten ihn danach als Helden. »Hoch lebe der oberste Gentleman Elliot Rodger! Die Incel-Rebellion hat begonnen! Wir werden alle Chads und Stacys stürzen!«, schrieb Alek Minassian kurz vor seinem Amoklauf auf Facebook. Die meisten, die diese Nachricht lasen, verstanden sie nicht. Max hätte sie sofort verstanden.
»Chad« und »Stacy«, das sind Codewörter aus einer Parallelwelt. Die Incels bezeichnen so die attraktiven Männer und Frauen, die miteinander Sex haben. Ihre Feinde. Doch warum werden Männer wie Max zu Incels? Was fesselt sie am Hass, und wie verändert er sie?
Max hat mehrere Wochen überlegt, ob er ZEIT CAMPUS seine Geschichte erzählen will. Er ist nicht der Typ, der Aufmerksamkeit genießt. Er wohnt in einem Studierendenwohnheim mit mehr als hundert Klingelschildern, so anonym, dass sogar er es zu anonym findet. In den Foren ist Max mit einem Nickname unterwegs. Auch in diesem Text steht nicht sein richtiger Name. Es ist das erste Mal, dass er Worte für seine Gedanken und Gefühle findet. Er hat noch nie mit jemandem über den Hass, die Wut und seine Einsamkeit gesprochen. Warum ausgerechnet jetzt? Er verbindet damit die Hoffnung, anderen Männern helfen zu können – und vielleicht auch sich selbst.
»There’s no worse insult to a guy than being called ›creepy‹. Because you’re short, you’re automatically ›creepy‹. Women often label attention they don’t want as ›creepy‹ and pushy. Once a guy’s labeled as ›creepy‹ then that’s endgame for him in that social group since women value social status.« moggedbyall
»I literally can’t imagine what a kiss feels like. When I kiss in my dreams there is no sensation whatsoever.« Foreignincel4

Max begann sein Studium voller Hoffnung. College-Partys wie in American Pie. Beer-Pong. Knutschen. Sex. So hatte er sich das Uni-Leben ausgemalt. »Man dachte, dann wird alles einfacher und besser«, sagt er heute. Wenn Max über sich spricht, sagt er oft »man« statt »ich« und redet noch schneller als sonst.
Er ging auf eine Ersti-Party am Semesteranfang. Aus den Boxen der Mehrzweckhalle dröhnten Charts-Hits, nicht so seine Musik. Max war mit einem Nachbarn aus dem Wohnheim gekommen. Den ganzen Abend saßen sie am Tresen, redeten und sahen zu, wie andere feierten. Als sie um kurz nach Mitternacht gingen, war Max vor allem enttäuscht von sich selbst. Seine Gedanken hatten sich im Kreis gedreht: »Der dahinten sieht viel besser aus als du!« Oder: »Die ist viel zu hübsch für dich.« Oder: »Du bist zu klein.« Nach dem ersten Semester sei dann das wirkliche Down gekommen, sagt Max.
An Abenden, an denen er sich einsam fühlte, loggte er sich in Fußballforen ein. Nebenbei schaute er stundenlang YouTube. Zufällig landete er bei einem Video, in dem Frauen erzählen, wie wichtig ihnen die Körpergröße bei Männern ist. Das Gefühl, dass seine Größe an allem schuld sei, hatte Max schon lange. Spätestens seit dem Sommer mit Hanna.
Er begann auf Reddit, einem Sammelbecken für Foren, nach Antworten zu suchen. »Does size matter?«, tippte er in die Suche ein und fand verschiedene Unterforen, sogenannte Subreddits. Je mehr Max las, desto düsterer wurden die Beiträge. Es ging um Zurückweisungen, Selbsthass, das Gefühl, von Frauen diskriminiert zu werden. Unter einem der Posts schrieb jemand, der Verfasser solle sich zu den Incels verziehen, dort sei Platz für so viel Selbsthass. Max klickte auf den Link, zuerst nur aus Interesse, sagt er heute. Doch er kam immer wieder zurück.
Auf einmal war Max nicht mehr allein. Im Forum waren fast 50.000 Männer, die mitlasen und mitkommentierten. Männer, die Erklärungen für ihre Einsamkeit hatten: Schuld an ihrem Leid war nicht ihre Größe oder ihr Aussehen. Schuld war die Gesellschaft. Sie glaubten, dass sich alle gegen sie verschworen hatten. Sich selbst bezeichneten sie als Ausgestoßene oder als Abschaum, weil Frauen nicht mit ihnen schliefen.
»Die Posts der anderen gaben mir Gewissheit, dass die Welt ungerecht sein muss«, sagt Max. Diese Erkenntnis nennen Incels ihre »Red Pill« , angelehnt an Matrix: Nur wer die Pille schluckt, weiß, wie grausam die Welt wirklich ist.
Eigentlich ist es paradox, dass sich ausgerechnet heute eine Subkultur wie die der Incels entwickelt hat. Schließlich gibt es so viele Möglichkeiten, Frauen kennenzulernen, wie noch nie. Ob für eine Nacht oder länger, bei Tinder oder Parship. Doch Incels sagen, gerade das mache ihnen das Leben zur Hölle. Denn die moderne Partnersuche sei vergiftet und oberflächlich. Incels sehnen sich oft in eine längst vergangene Zeit zurück, vor der Frauenbewegung, vor dem Feminismus, vor #MeToo. Sie glauben, es wäre besser, wenn es keine freie Wahl und keinen Wettbewerb in der Liebe gäbe, sondern einfach jedem Mann eine Frau zustehen würde.
Für ihre Theorien suchen sie Bestätigung in der Wissenschaft, aus Studien ziehen sie das, was ihnen passt. Zwischen Hass-Posts finden sich Einträge wie dieser: »Good-looking men are assumed to have better personalities, more rewarding careers, and more fulfilling life experiences (Dion et al., 1972; Griffin and Langlois, 2006).«
Einige Incels machen auch Experimente auf Tinder und berichten darüber in den Foren. An eines der Experimente erinnert sich Max besonders gut. Ein Incel hatte zwei männliche
Profile bei Tinder angelegt, identische Fotos, nur die Angabe der Körpergröße war unterschiedlich. Das Ergebnis: Der kleinere Mann bekam weniger Matches. »Das war für mich ein Beweis, dass die Theorien der Incels kein Blödsinn sein können. Das ist ja eine externe Quelle«, sagt Max. Das Experiment, das keinen wissenschaftlichen Standards entspricht, war für Max eine Bestätigung, dass er es gar nicht erst bei Frauen versuchen müsse.
Bald verbrachte er mehrere Stunden pro Woche im Incel-Forum auf Reddit, las jeden zweiten Tag systematisch alle Beiträge mit den meisten Upvotes, dem Bewertungssystem der Plattform. Er ließ sich vom Hass auf Frauen anstecken, von der Wut über die weibliche »Hochnäsigkeit und Oberflächlichkeit«, wie er sagt.