Journalistin.

Text:
Tanya Falenczyk

Foto:
Daniel Delang

Erschienen in:
JWD. Nr. 12

Text:
Tanya Falenczyk

Foto:
Daniel Delang

Erschienen in:
JWD. Nr. 12

Spitzenhobby

Jasmin zieht sich als Gymbunny für Männer vor der Webcam aus. Armes Mädchen. Oder?

Jasmin schiebt sich noch ein Couchkissen unter den Po, das ist besser für den Rücken und schöner für die Kamera. Sie trägt schwarze Spitzenunterwäsche. Die Mittagssonne scheint durch die Gardinen, draußen brummt ein Traktor. Vor Jasmin steht ihr Laptop, das Lämpchen der angesteckten Webcam leuchtet grün, sie ist in einem Chatroom eingeloggt. Es ist sehr warm im Zimmer, die Heizung ist voll aufgedreht. „Von dem ganzen Rumsitzen wird einem schnell kalt“, sagt Jasmin, „das kennt man ja als Frau im Büro.“ Sie lacht, dabei quiekt ihre Stimme ein bisschen. Sie spricht Bayerisch, jedes R rollt.

Jemand kommt in den Chatroom. Er sieht jetzt den Ausschnitt, den die Webcam ihm zeigt, darüber steht „Gymbunny“, so nennt sich Jasmin hier. Sie streicht sich noch mal die hüftlangen Haare glatt und setzt ein Lächeln auf, das viel kontrollierter aussieht als das Lachen von gerade eben. „Zeig mal was, ich will wichsen“, schreibt der User. Ab jetzt kostet ihn jede Minute 1,89 Euro.

Jasmin, 21, ist Camgirl und damit Teil der Amateurpornobranche. Eine jener jungen Frauen, die sich vor der Kamera ausziehen und dabei schnell als Opfer gelten. Porno bedeutet für viele Ausbeutung, harte Arbeit für Tausende Stunden Videomaterial, das jeden Tag online geht. Das gilt schon für die professionelle Pornobranche, dann wird es erst recht für Amateurpornos gelten. Oder?

Jasmin wohnt in einem Dorf in der Nähe von Passau, Niederbayern. Hinter ihrem Haus steht der Siloturm eines Bauernhofs, dahinter Felder und noch mehr Felder. Die grau-weiße Couch im Wohnzimmer ist Jasmins Arbeitsplatz, ihre Kernarbeitszeit geht von 21 Uhr bis 2 Uhr nachts, dann klappt sie den Laptop zu, Feierabend. Wenn sie, wie gerade jetzt, schon morgens für ein paar Stunden online ist, dann nur, um für freie Tage vorzuarbeiten.

Morgens sind die User hektischer, am längsten bleiben sie am Feierabend und an Urlaubstagen. „Wenn einer schon anfängt mit ‚Zeig Brüste!‘, dann lohnt es sich nicht“, sagt sie, „der holt sich schnell einen runter und geht wieder.“ Jasmin will die User möglichst lange halten, Zeit ist Geld. „Auf was stehst du?“, tippt sie dann. Ihre langen weißen Fingernägel klappern auf der Tastatur. Der User, der gerade noch wichsen wollte, verlässt den Chat. Manche wollen keine Gespräche, nur nackte Haut.

Die Frage nach den Wünschen stellt Jasmin fast immer, deshalb kommen die meisten User zu ihr. Camgirls wie sie füllen eine Lücke. Diese Lücke kann aus Fantasien bestehen, die die User zu pervers finden, um sie mit jemandem aus ihrem Leben zu teilen. Diese Männer wollen Jasmins Füße sehen, wollen, dass sie sich anal befriedigt, wollen sie beleidigen, wollen sich unter ihrer Anleitung selbst als Sklaven erniedrigen, würgen und schlagen. „Mich kann immer weniger schocken“, sagt Jasmin. „Wenn man Leute auf der Straße trifft, hat man keine Ahnung, wie sie wirklich sind. Das sehe dann nur ich, später im Chat.“

Jasmin füllt aber auch noch andere Lücken. Ein Kunde kommt zweimal pro Woche in Jasmins Kanal, um mit ihr Sportübungen zu machen. An diesem Morgen bleibt einer sieben Minuten online, um mit ihr über ihren Tag zu chatten, er ist krank und allein. Der Nächste ist zum sechsten Mal da, um Jasmins Tattoos zu sehen. Also hält sie ihren linken Unterarm in die Kamera: „If i lose myself, i lose it all“, steht auf ihrer Haut, darunter eine Feder. Camgirls leisten eine besondere Art von Sexarbeit: persönlicher Austausch, den kein Pornofilm bieten kann; ein Mensch, der reagiert.

Im Frühjahr 2018 fing Jasmin an, sich vor der Webcam auszuziehen. Zuvor war sie anderen Camgirls auf Instagram gefolgt, das Konzept hatte ihr gefallen: Die Frauen zeigten ihren Körper und schienen damit gut zu verdienen. Jasmin führte damals ihren eigenen Laden, sie verkaufte Stoffe. Sie mochte die Arbeit, doch sie hatte ein klares Ziel. Schon als Siebtklässlerin antwortete sie auf die Frage, was sie später werden möchte: „Mit 34 will ich meine erste Million.“ Also schrieb sie eine der Frauen an, um sich Tipps zu holen. Die sagte: „Probier es einfach.“

Nach drei Monaten vor der Webcam fing Jasmin an, die ersten Videos zu drehen, um auch Geld zu verdienen, wenn sie offline ist. In ihrem dritten Film hat sie zur Fußball-WM Sex auf dem Sportplatz ihres Nachbardorfs. Irgendjemand erkannte den Ort und schickte das Video weiter. Schnell verbreitete es sich in Whatsapp-Gruppen. Danach kamen die Artikel der Lokalzeitungen, dann RTL, und der Bürgermeister der Gemeinde erklärte, er könne „solche Filme an öffentlichen Plätzen nicht gutheißen“.

 

Der ganze Text ist im Magazin JWD./Nr. 12 erschienen.